Beschaffenheit eines Werks – Welche Bedeutung haben eigentlich DIN-Normen?


Über DIN-Normen hört man im Alltag so manche Legende. Gerade unter Bauleistenden, aber auch unter AGs scheinen diese so etwas wie der heilige Gral zu sein. Dabei sieht das DIN, also das Deutsche Institut für Normung, deren Bedeutung deutlich lockerer, als dies sogar manche Gerichte tun.

Dass wir uns über DIN-Normen unterhalten müssen, folgt zunächst aus dem Erfolgsversprechen im Werkvertrag. Der AN schuldet nämlich im Ergebnis ein funktionierendes Werk. Die VOB/B hat hierzu seit jeher dargelegt, dass die Leistung, die der Unternehmer erbringt, dann frei von Sachmängeln ist, wenn sie die vereinbarte Beschaffenheit hat und den anerkannten Regeln der Technik entspricht. Zwar spricht das BGB in § 633 Abs. 2 zunächst nur von der vereinbarten Beschaffenheit und lässt zumindest textlich die anerkannten Regeln der Technik herunterfallen. Aus der Funktionalitätsverpflichtung folgt jedoch die allgemein vertretene Auslegung, dass die anerkannten Regeln der Technik stets in die Beschaffenheitsvereinbarung hineinzulesen sind, es sei denn, die Parteien hätten ausdrücklich etwas anderes vereinbart.

Anerkannte Regeln der Technik sind Basis
Eine solche von den Regeln der Technik abweichende Vereinbarung ist zwar möglich, würde aber voraussetzen, dass der Unternehmer den Besteller umfassend über eine solche Abweichung und deren Auswirkungen informiert oder – falls die Planung vom AG kommt – Bedenken anmeldet. Im Regelfall sind die allgemein anerkannten Regeln der Technik einzuhalten. Diese sollen ein gewisses Mindestmaß an Eignung widerspiegeln, welches jeder Auftraggeber erwarten können soll (BGH, Urteil vom 7. März 2013 – VII ZR 134/12). Die anerkannten Regeln der Technik sollen hiernach die Summe der im Bauwesen anerkannten wissenschaftlichen, technischen und handwerklichen Erfahrungen, die durchweg bekannt und auch aufgrund fortdauernder praktischer Erfahrung als technisch geeignet, angemessen und notwendig anerkannt sind, abbilden (BGH, Urteil vom 7. Juli 2010 – VII ZR 85/09).
Anders gesagt: Anerkannte Regeln der Technik sind diejenigen technischen Regeln, die sich der vorherrschenden Ansicht nach als theoretisch richtig durchgesetzt und in der Baupraxis als funktionsfähig bewährt haben. Betrachtet man diese Definition, fällt direkt auf, dass an keiner Stelle die Rede davon ist, dass anerkannte Regeln der Technik in irgendeiner Art und Weise schriftlich niedergelegt sein müssten. Tatsächlich betont auch der BGH stets, dass eine anerkannte Regel der Technik in keinem Regelwerk niedergeschrieben sein muss (BGH, Urteil vom 21. November 2013 -VII ZR 275/12). Was sollen dann aber die DIN-Normen?
Das DIN selbst hat sich mit der DIN 820-1 eine Norm erstellt, die quasi als Zentralnorm des Normungswesens gilt. Dort ist hinterlegt, dass bei sicherheitstechnischen Festlegungen eine Vermutung dafür bestünde, dass sie anerkannte Regeln der Technik darstellen. Das DIN betont, dass es sich um privatschriftliche Normen handele, die jedem zur Verwendung freistünden.
Die Gerichte gehen ein wenig weiter. So hat der BGH bereits mehrmals ausgesprochen, dass hinsichtlich des Inhalts der DIN-Normen eine Vermutung dafür streite, dass sie die allgemein anerkannten Regeln der Technik wiedergeben (zum Beispiel BGH, Urteil vom 24. Mai 2013 – V ZR 182/12). Die Bedeutung wird also nicht nur auf sicherheitstechnische Fragen beschränkt. Dennoch: Nicht alles, was in DIN-Normen enthalten ist, kann kritiklos übernommen werden. Es streitet schließlich nur eine Vermutung für die Einhaltung der Regeln der Technik.

Keine Rechtsnormqualität
Eine Vermutung kann aber widerlegt werden. Gerade das hat das aktuelle Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Dresden vom 16. August 2022 (14 U 1140/21) herausgestellt, welches nun nach dem Beschluss des BGH vom 15. Februar 2023 (VII ZR 167 /22) rechtskräftig ist. Das OLG hat nochmals ausdrücklich betont, dass den DIN- Normen keine Rechtsnormqualität zukomme, sondern es sich um private technische Regelungen mit Empfehlungscharakter handele. Daher könne zwar nach den Grundsätzen des BGH die beschriebene Vermutung angenommen werden. Diese Vermutung könne jedoch widerlegt werden, wobei der Beweis, dass in der Normung gerade nicht die Regeln der Technik wiedergegeben werden, von demjenigen geführt werden muss, der sich darauf beruft.
Am Ende wird ein Sachverständiger die Fragen zu klären haben, wobei zu berücksichtigen ist, dass DIN-Normen sowohl hinter den anerkannten Regeln der Technik zurückbleiben, als auch über diese hinausgehen können. Insgesamt sollte man sich also nicht vollends auf die Normvorgaben verlassen. Der AN schuldet grundsätzlich einen zum Zeitpunkt der Abnahme den anerkannten Regeln der Technik entsprechenden Erfolg. Er muss daher dringend die Augen offenhalten und sich informieren.
Erfolgte etwa eine Vorgabe des AGs, die zwar die Vorgaben der betreffenden DIN einhielt, aber schon zum Auftragszeitpunkt nicht mehr den Regeln der Technik entsprach, muss der AN hierauf hinweisen. Noch schwieriger – und darauf hat das OLG Dresden ausdrücklich hingewiesen – ist es, wenn sich die Regeln der Technik während der Ausführung ändern. Auch dann muss der AN einen Bedenkenhinweis gegen die nun nicht mehr regelkonforme Ausführung geben. Der AG muss dann entscheiden, ob er das Werk noch nach den alten Regeln der Technik oder nach den neueren Entwicklungen fertigstellen will.

DEGA-Tipp: Bedenken ja, Vorschlag nein
Vertrauen Sie nicht zu sehr auf DIN-Normen. Bilden Sie sich fort und prüfen Sie immer, ob die Normen noch den aktuellen Regeln der Technik entsprechen. Zeigen Sie dem Auftraggeber durch eine entsprechende Bedenkenanmeldung an, falls Sie der Meinung sind, dass dies nicht der Fall ist. Achten Sie bitte darauf, Ihre Ansicht auch entsprechend zu begründen, aber – soweit der Auftraggeber die Planung verantwortet – keinen Vorschlag zu unterbreiten, wie es richtig geht. Für einen solchen Vorschlag würden Sie nämlich planerisch haften.

Erschienen im Juli 2023 bei der DEGA Galabau, Das Magazin für den Garten- und Landschaftsbau. DEGA Galabau im Internet.

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