ZUM KOMMENTAR „BÄUME BESCHÄDIGEN ERLAUBT“ IN DEGA 7/2021: Das BGH-Urteil ist keine Erlaubnis zum Baumfrevel


Zum Kommentar von Tjards Wendebourg „Bäume schädigen erlaubt“ meldete sich Klaus Feckler, einer unserer Rechtsexperten, kritisch zu Wort. Dies und die Replik des Kommentators lesen Sie hier.

Lieber Tjards,
dass Nichtjuristen oder solche, die sich mit dem speziellen Rechtsgebiet nicht auskennen, gerne einmal pauschal Gerichtsurteile und deren Verfasser kritisieren, ohne sich hiermit differenziert befasst zu haben, ist nichts Neues. Da genügen schon wenige aus dem Zusammenhang gerissene Worte, um die empfindliche Seele des Populisten hochkochen zu lassen. Dass die Leitentscheidung des Bundesgerichtshofs vom 11. Juni 2021 (Az. V ZR 2345/19) zu dem Selbsthilferecht des § 910 Abs. 1 BGB gerade in der grünen Branche nicht erfreut aufgenommen werden würde, war deshalb ebenso zu erwarten wie die Kommentare, welche mich selbst diesbezüglich erreicht haben. Auch Du, lieber Tjards, hast in Deinem Kommentar auf Seite 7 der Juli-Ausgabe von DEGA in gewohnt und von mir durchaus geschätzt provokant direkter Art und Weise in dieselbe Kerbe geschlagen und hierbei nicht mit Polemik gespart.
Als Rechtsanwalt, der sich der grünen Branche eng verbunden fühlt, muss ich mich hier doch etwas schützend vor den BGH stellen. Dieser hat nämlich bei weitem nicht uneingeschränkt das Beschädigen von Bäumen erlaubt. Gerade diese undifferenzierte, letztlich sogar falsche Darstellung könnte „Baumfrevler“ zu einer derartigen Annahme oder einem solchen Vorgehen einladen. Da wir alle dies sicherlich nicht möchten, erlaube ich mir, das Urteil und dessen wesentliche Kernaussagen näher zu erläutern und einzuordnen.

1. Der Sachverhalt: In dem Urteil ging es um eine rund 40 Jahre alte, etwa 15 m hohe Schwarz-Kiefer in Berlin, deren Äste seit mindestens 20 Jahren auf das Grundstück des beklagten Nachbarn herüberragten und von denen Nadeln und Zapfen herabfielen. Dass dies auf einen mit der Nagelschere gepflegten Rasen erfolgt sein soll, lässt sich dem Urteil nicht entnehmen, sondern soll anscheinend den Eindruck erwecken, dass der Nachbar, der sich durch den Baum gestört fühlte, in jedem Fall ein fieser Pedant gewesen sein muss. Ebenso könnte es auch sein, dass die Äste über die einzige als Terrasse nutzbare Fläche des kleinen Nachbargrundstücks hinüberragten und diese ständig verdunkelten und verschmutzten. Der Beklagte hatte jedenfalls vorgetragen, dass die Menge der ganzjährig herabfallenden Nadeln der Kiefer ein Wachstum anderer Pflanzen unmöglich machte und diese bis auf die Terrasse und den Wintergarten herabfielen.
Für die Entscheidung des BGH war dies ohne Relevanz. Aus meiner eigenen Praxis kenne ich aber Fälle, in denen große Bäume, die unmittelbar an der Grundstücksgrenze stehen, tatsächlich die Nutzung der hiervon betroffenen Bereiche des Nachbargrundstücks erheblich beeinträchtigen. Dies nicht nur, weil eine uneingeschränkte eigene gärtnerische Gestaltung hiermit erschwert oder unmöglich gemacht wird, sondern auch und insbesondere, weil die Wurzeln dort im Erdreich befindliche Kanäle und Leitungen beschädigen und selbst die Herstellung von Wegen oder Plattenbelägen (mit ausreichender Tragschicht) erschweren oder unmöglich machen.
Wer nur über sehr kleine Gartenflächen verfügt, die er dann aufgrund eines direkt an der Grundstücksgrenze stehenden Baums des Nachbarn nicht so frei benutzen und gestalten kann, wie er es möchte, hat vielleicht auch unser Verständnis verdient. Dann muss man nicht unbedingt von „einem Sack voller Eitelkeiten, männlicher Breitbeinigkeit und Rechthaberei“ ausgehen, wobei diese erfahrungsgemäß erforderlich sind, um eine derartige Auseinandersetzung bis zum BGH zu treiben.
Wenn man dann ebenso wie Du, lieber Tjards, darüber hinaus einfach mal spekuliert und annimmt, der Nachbar hätte nicht nur die eine Kiefer auf seinem Grundstück stehen, sondern in einer waldähnlichen Ausgestaltung 20 bis 30 solcher Bäume, kippt das Bild sogar vollständig und man darf sich schon fragen, warum das Herz dieses Nachbarn nun ausgerechnet an der einen Kiefer auf der Grundstücksgrenze hängt. Auch dies ist übrigens nicht unrealistisch, sondern entspricht einer mir derzeit vorliegenden Nachbarsituation. Wer lebt dann seinen Egoismus rücksichtslos aus? Von dem Argument des durch Dich angesprochenen „gesellschaftlichen Wertes“ eines Baums auf der einen Seite und „ein bisschen Laub auf dem Rasen oder Pollen in der Luft“ auf der anderen Seite bleibt dann nicht mehr viel übrig.

2. Die Urteilsbasis BGB: In § 910 BGB, aufweichen der BGH sein Urteil gestützt hat, ist geregelt, dass der Eigentümer eines Grundstücks Zweige, die von einem Nachbargrundstück eingedrungen sind oder herüberragen, abschneiden und behalten darf, wenn der Eigentümer dem Besitzer des Nachbargrundstücks eine angemessene Frist zur Selbstbeseitigung gesetzt hat und diese verstrichen ist. Für hinüberwachsende Wurzeln bedarf es noch nicht einmal einer derartigen Fristsetzung. Diese Vorschrift, welche eine „Beschädigung“ von Bäumen erlaubt, existiert bereits seit erstmaliger Schaffung des BGB und somit seit mehr als 100 Jahren. Die Voraussetzungen des § 910 Abs. 1 BGB, nämlich das Herüberragen der Zweige und die erfolglose Aufforderung des Nachbarn an den Baumeigentümer, diese abzuschneiden, waren vorliegend unstreitig gegeben.

3. Beeinträchtigung des Grundstücks? Die somit grundsätzlich bestehende Berechtigung zur „Beschädigung“ von Bäumen in Form des Abschneidens von über die Grenze hinüberragenden Ästen oder Wurzeln besteht dann nicht, wenn die Wurzeln oder die Zweige die Benutzung des Grundstücks nicht beeinträchtigen (§ 910 BGB). Nachdem das Landgericht Berlin als Berufungsgericht diese Frage nach einer Beeinträchtigung des Nachbarn durch die Schwarz-Kiefer nicht geprüft hatte, ist die Akte vom BGH mit dem Urteil vom 11. Juni 2021 zur weiteren Bearbeitung und Entscheidung dorthin zurückverwiesen worden. Der BGH hat also gerade NICHT entschieden, dass die hinüberragenden Äste abgeschnitten werden durften!

4. Der rechtliche Kern des Urteils des BGH, mit welchem dieser erstmalig eine in der lnstanzrechtsprechung und Fachliteratur strittige Frage entschieden hat, liegt an anderer Stelle. Das Landgericht Berlin hatte nämlich unter anderem die Auffassung vertreten, dass das vorhergehend dargestellte Selbsthilferecht nach § 910 Abs. 1 BGB (der Nachbar darf nach erfolgloser Fristsetzung die Äste selbst abschneiden) dann nicht bestehe, wenn die Beseitigung des Überhangs zu einem Verlust der Standfestigkeit oder einem Absterben des Baums oder zu einer erhöhten Risikolage führe, weil dies auf eine von § 910 Abs. 1 BGB nicht abgedeckte Beseitigung des Baums hinauslaufe.
Nur dem ist der BGH entgegengetreten und hat unter Verweis auf die eindeutigen und abschließenden gesetzlichen Regelungen in § 910 BGB festgestellt, dass – vorbehaltlich naturschutzrechtlicher Beschränkungen – eine Verhältnismäßigkeits- oder Zumutbarkeitsprüfung dort gerade nicht vorgesehen ist und auch den Vorstellungen des Gesetzgebers hinsichtlich einer einfachen und allgemein verständlichen Ausgestaltung des Selbsthilferechts widersprechen würde.
Die Vorschrift des § 910 BGB weise die Verantwortung dafür, dass Baumwurzeln oder Zweige nicht über die Grenzen des Grundstücks hinauswachsen, dem Eigentümer des Grundstücks zu, auf dem der Baum steht. Er ist hierzu im Rahmen der ordnungsgemäßen Bewirtschaftung seines Grundstücks gehalten. Kommt er dieser Verpflichtung nicht nach und lässt er die Zweige des Baums über die Grenze wachsen, dann kann er später nicht unter Verweis darauf, dass der Baum (nunmehr) droht, durch das Abschneiden der Zweige an der Grenze seine Standfestigkeit zu verlieren oder abzusterben, von seinem Nachbarn verlangen, das Abschneiden zu unterlassen und die Beeinträchtigung des Grundstücks hinzunehmen.
Über die Richtigkeit dieser primär anhand der auch für den BGH maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften und deren Sinn und Zweck vorgenommenen Bewertung kann man nun ausführlich diskutieren. Bei Sachverhalten, die Du, lieber Tjards, in Deinem Kommentar unterstellt hast, mag man dem BGH widersprechen wollen. Bei Situationen, welche ich vorhergehend einmal angenommen habe, sieht die Sache dann vielleicht aber ganz anders aus.
Wichtig ist aber, dass der BGH keineswegs das Beschädigen von Bäumen erlaubt oder gar zum Baumfrevel eingeladen hat. Vielmehr hat er in differenzierter und ausführlicher Argumentation dargestellt, weshalb allein das Risiko des Verlustes der Standfestigkeit oder das Absterben des Baumes nicht zwingend das Recht des beeinträchtigten Nachbarn auf Beseitigung des Überwuchses ausschließt. Dies scheint mir nachvollziehbar, ohne dass ich hierfür meine nach bald 20 Jahren dauerndem Engagement in der Branche gewachsene „grüne Seele“ verkaufen müsste.

Sachlich statt emotional
Ich bitte darum, dass gerade die professionellen Akteure der grünen Branche beim Thema Bäume nicht derart emotional reagieren, nicht so wie die Millionärsgattin, die zwar ihr Grundstück mit Beton und Schotter zugeschüttet hat und den Weg zur 300 m entfernten Bäckerei mit dem SUV zurücklegt, andererseits aber für den Erhalt eines schon seit langem greisen Straßenbaums demonstriert.
So wie Du, lieber Tjards, es regelmäßig mit Deinen Kommentaren in DEGA tust, habe nun auch ich mich mit manch provokanter Äußerung der Kritik unserer Leser auseinandergesetzt. Dies aber ebenso wie Du im Interesse einer lebhaften und offenen, gerne auch unterhaltsamen Diskussion, welche anderen Meinungen Raum lässt und die dahinter stehenden Personen nicht pauschal verurteilt. Gerade als Fachmann bin ich der festen Überzeugung, dass einzelne Gerichtsurteile fast nie für allgemeingesellschaftliche Diskussionen geeignet sind.

Liebe Grüße, Dein Klaus Feckler

Erschienen im August 2021 bei der DEGA Galabau, Das Magazin für den Garten- und Landschaftsbau. DEGA Galabau im Internet.

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