Die Streitfrage schlechthin: Wann ist eine Glasscheibe mangelhaft?


Die Rechtsanwälte und Fachanwälte für Bau- und Architektenrecht André Bußmann & Klaus Feckler bewerten eine Frage im Grenzbereich von Technik und Recht.

Man könnte meinen, die eingangs gestellte Frage sei leicht zu beantworten. Dies ist aber keineswegs der Fall, denn die Beurteilung des in vielerlei Hinsicht hohen Belastungen ausgesetzten, technisch komplexen Werkstoffs Glas bereitet in Streitfällen gerade den Gerichten erhebliche Probleme.

Beispielsfall aus der Rechtsprechung

Dass die in solchen Fällen regelmäßig hinzugezogenen Sachverständigen ebenfalls an Grenzen stoßen, dokumentiert ein Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 11.10.2006 (Az. 17 O 3304/06): Ein Fachunternehmen hatte Isoliergasscheiben in einen Neubau eingesetzt. Bei ganz besonderen Lichtverhältnissen, wenn die Vormittags-Sonne zu bestimmten Jahreszeiten sehr tief stand und direkt auf die Fenster schien, waren an dieser Stelle helle Streifen erkennbar. Die Schwierigkeit, den vom Auftraggeber gerügten Zustand wahrzunehmen, zeigte sich dadurch, dass der beauftragte Sachverständige vier Ortstermine benötigte, um die Streifen überhaupt feststellen zu können.

Man hätte nun ausführlich darüber streiten können, ob diese nur äußerst selten wahrnehmbaren Streifen überhaupt einen Mangel im Rechtssinne darstellten, der von dem Fachunternehmen im Rahmen der Mängelhaftung zu beseitigen war. In dem Fall des Landgerichts Nürnberg-Fürth hatten Auftraggeber und Auftragnehmer für diese Beurteilung einen Sachverständigen hinzugezogen. Dieser meinte es gebe eine Abweichung von den anerkannten Regeln der Technik, weshalb ein Mangel vorliege. Daraufhin zog der Glasbauer vor Gericht. Er argumentierte, der Sachverständige habe seine Firmenrichtlinien zur Beurteilung der visuellen Qualität der Gläser unbeachtet gelassen. Hiernach würden Unreinheiten im Glas, die bei diffusen Prüfungsbedingungen nicht sichtbar seien, keinen Mängel darstellen. Der Sachverständige hätte diese Richtlinien bei seiner Bewertung der anerkannten Regeln der Technik einbeziehen müssen.

Anders sah es das Landgericht Nürnberg-Fürth: Da das vorliegende Phänomen, das heißt, die nur bei besonderen Lichtverhältnissen sichtbaren hellen Streifen, in keinem technischen Regelwerk genannt wird, habe es dem Sachverständigen freigestanden, die Mangelhaftigkeit anhand der allgemein anerkannten Regeln der Technik aus dem Inbegriff seiner beruflichen Erfahrung und speziellen Kenntnisse abzuleiten. Auf eine firmeninterne Richtlinie des Auftragnehmers komme es nicht an, da diese keine allgemein anerkannte Regel der Technik darstelle und zudem nicht in das Vertragsverhältnis einbezogen wurde.

Was lässt sich daraus ableiten

Gibt es für ein bestimmtes Bauprodukt keine klaren technischen Vorschriften und Richtlinien wie beispielsweise DIN-Vorschriften, anhand derer die Mangelhaftigkeit eindeutig beurteilt werden kann, erfolgt die Bewertung der Qualität auf der Grundlage anderer, weniger eindeutiger Maßstäbe. Das Problem besteht darin, dass ein Sachverständiger, der sich nicht auf festgeschriebene Regeln berufen kann, auf Erfahrungswerte und allgemeine Verfahrensweisen zurückgreifen muss. Hiernach beurteilt er, was nach seinem Dafürhalten und Kenntnisstand „allgemein anerkannt“ ist.

Bei Firmen- oder Herstellerrichtlinien sind zwei Risiken zu beachten:

1. Da nicht immer sicher ist, dass diese Richtlinien im Rahmen der stets zu beachtenden anerkannten Regeln der Technik liegen und diese mitbestimmen, müssen sie ausdrücklich und nachweisbar zum Gegenstand des Vertrags gemacht werden. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass sie wie in dem oben dargestellten Beispielsfall bei einer sachverständigen Bewertung keine Berücksichtigung finden.

2. Grundsätzlich gehen ausdrückliche vertragliche Vereinbarungen den allgemein gültigen, anerkannten Regeln der Technik vor. Liegen die Qualitätsmaßstäbe derartiger Richtlinien aber unterhalb der Standards der anerkannten Regeln der Technik, sollte der Auftraggeber beweisbar darüber informiert werden, welche Konsequenz die „niedrigere Ausführungsqualität“ haben kann. Dies gilt insbesondere bei einseitig vorformulierten Richtlinien. Aus diesen müssen sich allgemein verständlich und umfänglich die möglichen Auswirkungen der zu vereinbarenden (minderen) Qualität ergeben. Fehlt dies, kann die Vereinbarung der unterhalb der Regeln der Technik angesiedelten Qualität unwirksam und damit unverbindlich sein.

Erschienen im Februar 2008 in der Zeitschrift GFF.

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