Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht


Wer Baumpflege durchführt, wird regelmäßig auch mit Verkehrsicherungspflichten konfrontiert. Was dies – unabhängig von technischen Vorschriften – im Einzelnen bedeutet und nach welchen Maßstäben die Rechtsprechung die Verkehrssicherungspflichten definiert, insbesondere welche rechtlichen Risiken letztlich das baumpflegende Unternehmen treffen, ist jedoch weithin unbekannt.

Keine gesetzliche Definition

Trotz der großen praktischen Relevanz der Verkehrssicherungspflichten gibt es keine gesetzliche Definition. In § 823 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ist lediglich allgemein geregelt, dass derjenige, der vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet ist. Ausgehend von der Frage, in welchem Verhalten oder Unterlassen eine derartige Verletzungshandlung gesehen werden kann, haben die Gerichte den Grundsatz entwickelt, dass derjenige, der eine Gefahrenquelle schafft, vorhält oder in sonstiger Weise hierfür verantwortlich ist, Schutzmaßnahmen zu treffen hat. Er ist also verkehrssicherungspflichtig. Erfüllt er diese Pflicht nicht, hat er nach § 823 BGB Schadensersatz zu leisten.

Wer ist verkehrssicherungspflichtig?

Wer im Einzelfall Schutzmaßnahmen zu treffen hat, ist nicht immer leicht zu beurteilen. Häufig trifft die Verkehrssicherungspflicht auch nicht nur eine einzelne Person oder ein einzelnes Unternehmen. Bezugspunkt ist stets die Schaffung oder Beherrschung einer Gefahr, weswegen vielfach mehrere für ein und dieselbe Gefahrenquelle verantwortlich, also verkehrssicherungspflichtig sein können.

Bei der Baumpflege trägt üblicherweise zunächst der Grundstückseigentümer, auf dessen Grund und Boden die Bäume stehen, die Verkehrssicherungspflicht. Er ist für die potenzielle Gefahrenquelle „Baum“ primär verantwortlich. Beauftragt der Grundstückseigentümer nunmehr ein Fachunternehmen mit der Durchführung der Baumpflege, übernimmt dieses Unternehmen regelmäßig die Verkehrssicherungspflicht für die von den Bäumen ausgehenden, möglichen Gefahren. Dies geschieht entweder durch eine ausdrückliche vertragliche Vereinbarung, meist aber konkludent, das heißt stillschweigend, im Rahmen des Umfanges des Baumpflegeauftrages.

Dies bedeutet aber nicht, dass der Grundstückseigentümer hierdurch automatisch aus der Haftung entlassen wird. Es ist und bleibt im Rahmen der Verkehrssicherungspflicht seine Aufgabe, das Unternehmen sorgfältig auszuwählen, zu instruieren und zu überwachen. Verletzt er diese Pflicht, haftet er weiter unmittelbar neben dem Fachunternehmen.

Was ist zur Verkehrssicherung zu tun?

Die Frage, welche Maßnahmen im Rahmen der Verkehrssicherung zu ergreifen sind, lässt sich nicht allgemeinverbindlich beantworten. Art und Umfang der zu ergreifenden Sicherungsmaßnahmen werden anhand der konkreten Gefahr im Einzelfall bestimmt und können sehr unterschiedlich sein. Generell lassen sich folgende Gruppen unterscheiden:

  • Maßnahmen zur unmittelbaren Beseitigung der Gefahr (z.B. Fällen eines kranken, umsturzgefährdeten Baums)
  • Maßnahmen, durch die potenziell gefährdete Personen von der Gefahrenquelle räumlich abgetrennt werden (Errichtung eines Zauns etc.)
  • Gefahrenhinweise (z.B. Warnschilder)
  • Maßnahmen zum unmittelbaren Schutz der potentiell gefährdeten Personen (Helmpflicht etc.)

Im Rahmen der Baumpflege ist darauf zu achten, dass der Verkehrssicherungspflichtige nicht erst auf bereits erkannte Gefahrenquellen (morsche Äste etc.) reagieren muss, sondern bereits im Vorfeld zu überprüfen hat, ob überhaupt derartige Gefahrenquellen existieren.

Der Bundesgerichtshof stellt hierzu in ständiger Rechtsprechung fest, dass es notwendig ist, dass der jeweils Verkehrssicherungspflichtige unter Berücksichtigung forstwirtschaftlicher Erkenntnisse die Bäume an Straßen bzw. von Personen betretbaren Bereichen auf die Gefahr von Windbruch, Windwurf, des Umsturzes durch Krankheitsbefall und des Herabfallens von Ästen zu kontrollieren hat. Hierfür genügt eine fachlich qualifizierte Inaugenscheinnahme unter Anwendung einzelner visuell-manueller Methoden (Klopfen, Freiräumen des Standfußes, etc.). Ein Besteigen oder gar Anbohren ist nicht erforderlich. Erst dann, wenn sich aus der Sachkunde des Prüfenden heraus Hinweise auf Gefährdungen, Krankheiten, etc. ergeben, z.B. durch trockenes Laub, dürre Äste, Beschädigungen usw., ist eine detaillierte Untersuchung anzuschließen. Sollte sich dabei ein Verdacht bestätigen oder sonstige Gefahren offenbar werden, sind weitere Maßnahmen durchzuführen, etwa das Entfernen einzelner Äste oder sogar das Fällen des gesamten Baumes (BGH VersR 1962, 262; BGH NJW 1965, 815).

Die Frage, in welchen Zeitabständen derartige Untersuchungen durchzuführen sind, hat der Bundesgerichtshof offen gelassen. Verschiedene Oberlandesgerichte haben hierzu jedoch festgestellt, dass eine Kontrolle zweimal jährlich, jeweils einmal im belaubten und unbelaubten Zustand, stattzufinden hat (OLG Düsseldorf VersR 1992, 467; OLG Schleswig MDR 1995, 148; OLG Düsseldorf VersR 1997, 463; OLG Hamm VersR 1997, 1148; OLG Hamm VersR 1998, 188; OLG Hamm NJW-RR 2003, 968; wohl auch OLG Koblenz NJW-RR 1986, 1086; OLG Zweibrücken VersR 1994, 1489).

Diese als gefestigt anzusehenden Rechtsprechung wird in der Baumkontrollrichtlinie der Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e.V. (FLL), Ausgabe 2004, die auch in der aktuellen ZTV-Baumpflege der FLL (Ausgabe 2006) in Bezug genommen wird, in Frage gestellt. Nach dieser Richtlinie soll die zweimal jährliche Kontrolle in der Regel aus fachlicher Sicht nicht erforderlich sein. Es soll vielmehr ausreichen, die Regelkontrollen jährlich oder noch seltener durchzuführen (Abschnitt 4.3.2.2).

Aus juristischer Sicht begegnet dies jedoch insoweit Bedenken, als zu befürchten ist, dass sich die Gerichte im Streitfall regelmäßig der oben dargestellten, zumindest auf Oberlandesgerichtsebene gefestigten Rechtsprechung anschließen werden. Es ist auch durchaus möglich, dass selbst der Bundesgerichtshof auf diese Linie einschwenkt. Wer also die Baumkontrolle (nur) in den von der FLL empfohlenen Intervallen durchführt, riskiert, im Schadensfalle in Anspruch genommen zu werden.

Insoweit sei ausdrücklich betont, dass hiermit nicht die fachliche Richtigkeit der Empfehlungen der Baumkontrollrichtlinie bezweifelt werden soll. Aus anwaltlicher Sicht kann jedoch stets nur der juristisch sicherste Weg empfohlen werden. Will man diesen Weg gehen, muss man die zweimal jährlichen Kontrollen durchführen.

Was droht bei der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht?

Entsprechend dem oben bereits zitierten § 823 Absatz 1 BGB hat derjenige, der seine Verkehrssicherungspflichten verletzt, dem Verletzten den daraus entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies beinhaltet den Ersatz beschädigter Gegenstände (Autos etc.), ebenso wie Behandlungskosten und Schmerzensgeld (§ 253 Absatz 2 BGB) für Schäden an Körper und Gesundheit.

Im Falle der Verletzung von Personen kommt zudem noch die Erfüllung des Straftatbestandes der fahrlässigen Körperverletzung (§ 223 Strafgesetzbuch – StGB), oder beim Tod eines Menschen sogar eine fahrlässigen Tötung (§ 222 StGB) in Betracht. Neben der zivilrechtlichen Haftung, welche außer in Fällen grober Fahrlässigkeit regelmäßig durch die Haftpflichtversicherung des baumpflegenden Unternehmens abgedeckt sein dürfte, droht also auch die strafrechtliche Verfolgung, in ernsteren Fällen oder bei Wiederholung sogar eine Freiheitsstrafe.

Dieser Artikel ist in der Zeitschrift PRO BAUM, Ausgabe 4/2006 erschienen

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