In der DEGA 03/2018 haben wir kritisiert, dass die VOB/B in Ansehung des neuen Bauvertragsrechts keine Anpassung erfahren hat – das ist bis heute so. Dort haben wir dargelegt, dass somit die Unwirksamkeit insbesondere der wichtigen Nachtragsklauseln der VOB/B droht, wenn die VOB/B nicht insgesamt und ohne jede Änderung vereinbart oder sie gegenüber Verbrauchern verwendet wird.
Obwohl diese mahnenden Worte auch von weit gewichtigeren Stimmen in der Literatur geäußert wurden, ließ sich der Deutsche Vergabe- und Vertragsausschuss, der die VOB/B erstellt, nicht erweichen – eine Anpassung an das neue Bauvertragsrecht erfolgte nicht.
Doch wenn der Berg nicht zum Propheten kommt, muss der Prophet halt zum Berg gehen. In der jüngsten Rechtsprechung zeichnet sich nun ab, dass anstelle einer neuen VOB/B ein Umdenken in der Interpretation der alten und weiterhin aktuellen VOB/B-Regeln erfolgt. Schauen wir uns an, was geschehen ist.
Alltäglicher Fall
Eigentlich hatte der Bundesgerichtshof (BGH) einen alltäglichen Fall zu entscheiden. Wieder einmal hatte sich ein Auftraggeber in seinem Leistungsverzeichnis verschätzt. Unter anderem sollte der dortige Auftragnehmer Bauschutt entsorgen. Der Auftraggeber schätzte die zu entsorgende Menge auf 1 t, weswegen der Einheitspreis des Auftragnehmers relativ hoch ausfiel. Es stellte sich aber heraus, dass nicht etwa nur 1 t zu entsorgen war; vielmehr schnellte die Menge auf fast 84 t in die Höhe, ohne dass der Auftraggeber hierzu irgendeine Anweisung getroffen hätte.
Über die tatsächliche Abrechnungsmenge gab es zwischen den Parteien erstaunlicherweise keinen Streit. Allerdings sah es der Auftraggeber nicht ein, den ursprünglich angebotenen Einheitspreis von 462,00 € netto je t zu zahlen. Er besann sich der Regelung des § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B, wo geregelt ist, dass bei einer über 10 % hinausgehenden Überschreitung des Mengenansatzes auf Verlangen ein neuer Preis unter Berücksichtigung der Mehr- oder Minderkosten zu vereinbaren sei. Nun ist es mit Vereinbarungen häufig dann schwierig, wenn in den Augen des einen bereits die Euro-Zeichen blitzen, während sich die andere Partei massiv über den Tisch gezogen fühlt.
BGH als letzte Instanz
Einigen konnte man sich demgemäß nicht, allerdings brachte man in Erfahrung, was den Auftragnehmer der ganze Spaß gekostet hatte: Dieser hatte für Transport und Containerstellung 27,37 € und für die Entsorgung 64,20 € pro t, insgesamt also 91,57 € pro t aufgebracht. Dass der Auftraggeber vor diesem Hintergrund einen Einheitspreis von 462,00 € pro t für leicht überzogen hielt, ist sicherlich verständlich. Er schlug also auf die tatsächlichen Kosten einen Kalkulationszuschlag von 20 % auf und war bereit für die über 110 % hinausgehende Menge einen Einheitspreis von fast 110,00 € zu zahlen. Diesen Betrag überwies er auch. Damit wollte sich der Auftragnehmer jedoch nicht zufrieden geben und berief sich auf seine Urkalkulation. Sowohl das Landgericht als auch das Oberlandesgericht addierten zu den vorgenannten Bestandteilen Verladekosten von rund 40 € pro t und gewährten einen Einheitspreis von rund 150 € für die über 110 % hinausgehenden Mengen. Damit zog der unzufriedene Auftragnehmer nun vor den BGH.
Preisanpassungen waren angezeigt
Grundlage ist also § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B. Geregelt ist dort, dass auf Verlangen ein neuer Preis unter Berücksichtigung der Mehr- oder Minderkosten zu vereinbaren sei. In der Vergangenheit hat der BGH regelmäßig dargelegt, dass die Parteien, wenn sie sich nicht auf einen Preis einigen können, diesen dann eben aus der Urkalkulation entwickeln müssten. An dieser Rechtsprechung will sich der BGH jedoch nicht mehr so ganz festhalten lassen. Zunächst bestätigt er aber, dass die Voraussetzungen für eine Preisanpassung vorliegend tatsächlich gegeben seien.
Da in erster Linie nun die zwischen den Parteien getroffene Vereinbarung maßgeblich sei, müsse man schauen, ob die Parteien, wenn schon keinen konkreten Preis, dann wenigstens eine Berechnungsart oder Bestandteile der Neupreisbildung vereinbart hätten. Dies sah der BGH für einen 20%igen Unternehmerzuschlag als gegeben an, da dieser zwischen den Parteien nicht umstritten war.
Nun wurde es spannend: Der BGH teilte mit, er habe in der Vergangenheit gar nicht vertreten, dass der neue Preis nach den Preisermittlungsgrundlagen, also der Urkalkulation, zu bilden sei. Dies wäre nur der Fall gewesen, wenn die Parteien sich auf einen solchen Weg geeinigt hätten. Ansonsten hätte er lediglich dargestellt, die Kalkulationsgrundlagen dürften nicht ganz außer Acht gelassen werden. Wir wollen hier nicht untersuchen, ob der BGH vielleicht seine eigene Vergangenheit verdrängt. Fakt ist jedenfalls, dass er aktuell herausstellt, dass § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B keinen eigenen Maßstab zur Einheitspreisbildung beinhalte, wenn er nur davon spreche, dass die Mehr- oder Minderkosten zu berücksichtigen seien. Da die Parteien selbst nichts vereinbart haben, müsse man nun entscheiden, was die Vertragsparteien bei angemessener Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragspartner vereinbart hätten, wenn sie den nun eingetretenen Fall bedacht hätten.
Keine Besser- oder Schlechterstellung der Parteien
Es entspreche dem bestmöglichen Ausgleich der wechselseitigen Interessen, wenn keine Partei eine Besser- oder Schlechterstellung erfahre. Auch soll eine gleichmäßige Verteilung des wirtschaftlichen Risikos gewährleistet sein, wobei im Ergebnis auf Seiten des Auftragnehmers eine nicht auskömmliche Vergütung vermieden werden müsse, während der Auftraggeber keiner übermäßigen Belastung ausgesetzt sein sollte.
Dann schielte der BGH offensichtlich in die Neufassung des BGB (obwohl diese hier gar keine Anwendung fand) und stellte heraus, dass eine solche Regelung darin gefunden werden könne, dass der Auftragnehmer für die neu zu ermittelnde Vergütung die tatsächlich erforderlichen Kosten zusammenstellen müsse und hierauf übliche Zuschläge verlangen könne. Damit hat der BGH sich für § 2 Abs. 3 VOB/B von der vorkalkulatorischen Preisfortschreibung verabschiedet (BGH, Urteil vom 08.08.2019 – VII ZR 34/18).
Was bedeutet dies für Nachträge?
Das erste Nachfolgeurteil ließ nicht lange auf sich warten: Das ohnehin für seine recht progressive Rechtsprechung bekannte Kammergericht stand kurz davor, eine Entscheidung darüber fällen zu müssen, wie mit Mehrvergütungsansprüchen aus § 2 Abs. 5 und § 2 Abs. 6 VOB/B umzugehen sei. Tatsächlich hatte das Kammergericht zuvor, nämlich mit Urteil vom 10. Juli 2018 (21 U 30/17) den Rückgriff auf die Urkalkulation bei Nachträgen für den Regelfall abgelehnt. Bereits dort vertrat es die Ansicht, dass die Preiskalkulation des Unternehmers allenfalls ein Hilfsmittel bei der Ermittlung der neuen oder der zusätzlichen Vergütung sein könne.
Grundlage sei vielmehr, was an tatsächlichen Mehr- oder Minderkosten aufgrund der Preisänderung entstehe. Hierauf könnten sodann angemessene Zuschläge angesetzt werden. Diese Rechtsprechung bestätigt das Kammergericht nun und fühlt sich offenbar durch das aktuelle Urteil des BGH in seiner damaligen Ansicht bestärkt (KG, Urteil vom 27.08.2019 – 21 U 160/18).
Die Fortsetzung des Beitrags lesen Sie in der folgenden Ausgabe.
Erschienen im November 2019 bei der DEGA Galabau, Das Magazin für den Garten- und Landschaftsbau. DEGA Galabau im Internet.